Indien

[Juli 2020]

Liebe UnterstützerInnen von Nishtha!

Seit Indien am 24. März ohne Vorwarnung das ganze Land mit einem strikten Lockdown versehen und die zwischenstaatlichen Grenzen geschlossen hat, sehen wir mit Betroffenheit zu, wie Millionen von Wanderarbeitern aus ländlichen Gebieten, die in den großen Städten arbeiten, verzweifelt versuchen, nach Hause zu kommen und das meistens zu Fuß. Arbeiter, Studenten und Menschen, die unterwegs waren, strandeten an Plätzen, wo sie nicht zu Hause sind. Ohne Arbeit, Einkommen oder funktionierende Lebensmittelkarte wurden sie über Nacht mittellos.

zur Verfügung gestellt von Nishtha Indien
zVg Nishtha Indien
 

Mitte April hatten die Landesregierungen keine Wahl, als den gestrandeten Menschen Genehmigungen zur Passierung der Landesgrenzen auszustellen, damit sie irgendwie nach Hause gelangen konnten. Rund 60.000 Menschen haben Himachal Pradesh verlassen, während über 20.000 zurückgekehrt sind - nicht immer so willkommen, wie sie es sich gewünscht hätten...

Jedermann war erleichtert, dass der strenge Lockdown bis Mitte April das erwünschte Resultat erzielt hat, nämlich Himachal praktisch Covid-frei zu machen. Nun bestand natürlich die Gefahr, dass Rückkehrer von draußen den Virus mitbringen würden. Ächtung und Wut von Seiten der Dorfbevölkerung war die Folge. Daraufhin haben die Behörden jeden Zurückkehrer unter institutionelle oder strenge Heimquarantäne gestellt. Alle 87 Fälle, die es im Kangra-Distrikt gegeben hat, betrafen von außerhalb des Bundesstaates Zurückgekehrte, die man unter Quarantäne gestellt hatte. Glücklicherweise haben sich die meisten wieder erholt und es hat keine Todesfälle gegeben. Währenddessen steigt die Infektionsrate in anderen Teilen Indiens weiterhin an - besonders in den großen Städten.

Die Auswirkungen des Lockdowns auf die wirtschaftliche und psychologische Gesundheit der Menschen ist verheerend. Ein Verdienstausfall trifft bis zu 70% der berufstätigen Bevölkerung, vor allem die Taglöhner, die kein gesichertes Einkommen haben. Besonders ab Juni, dem dritten Lockdown-Monat ist die Situation kritisch geworden. Es ist daher dringend notwendig, die Bedürftigsten in unserer Community, die keinerlei Einkommensquelle mehr haben, zu versorgen. Für Familien ohne Land und ihre Kinder sind die Lebensmittel vom staatlichen Ernährungsplan unzureichend, sie brauchen Nahrungsergänzungsmittel.

zur Verfügung gestellt von Nishtha Indien
zVg Nishtha Indien
 

Deshalb haben wir im Juni, gemeinsam mit unserer Schwesterorganisation "Jagori" begonnen ein Hilfsprogram zu organisieren. Jagori hat ein Netzwerk von Mitarbeiterinnen vor Ort, die junge Mädchen von sehr armen Familien, die meisten anämisch, ausfindig gemacht haben. Zwei Wochen lang haben wir ein Team mit unserem Auto (z.T. auf sehr schlechten Straßen) in Dörfer und abgelegene Ortschaften im Kangratal geschickt, um den Mädchen nährwertreiche Lebensmittelpakete zukommen zu lassen. Jagori koordiniert die Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln sehr gut und es ist effizienter für uns, mit ihnen zusammenzuarbeiten als allein. Auf diese Art und Weise können wir auch sichergehen, dass alle Gegenden abgedeckt sind.

Nishtha bemüht sich besonders um Schulkinder und um die Kinder unserer alleinstehenden Frauen, die meistens aus einem sehr einfachen Zuhause kommen. Sie werden von unseren Mitarbeitern kontaktiert und dann ins Jagori-Programm mit eingebunden.

zur Verfügung gestellt von Nishtha Indien
zVg Nishtha Indien
 

Wir haben nun auch unser eigenes Ernährungsprogramm für die Volksschulen gestartet, das Kinder in unserer Umgebung mit nahrhaften Lebensmittelrationen versorgt. Jedes Paket enthält Erdnüsse, geröstete Kichererbsen, getrocknete Datteln, Rosinen, Soya-Nuggets und Obst. Anstatt während der Hitze des Tages auf dem Feld zu arbeiten, hat unser landwirtschaftliches Team den Community Mitarbeitern geholfen, alle Artikel zu wiegen und individuell in Papier zu verpacken. Obwohl es vielen Eltern unangenehm ist, Essenspenden anzunehmen, sind sie dankbar für die nahrhaften und schmackhaften Snacks, die sie in diesen schwierigen Zeiten ihren Kindern niemals geben könnten.

Bisher haben wir 150 Kinder von 5 Schulen versorgt. Wir arbeiten mit den Schuldirektoren zusammen, die die Familien alle 15 Tage anrufen, bis die Schulen wieder öffnen. Lebensmittelpakete werden auch an die behinderten Kinder in unserer Obhut verteilt und liegen für junge Patienten aus anderen Gegenden in der Klinik bereit.

zur Verfügung gestellt von Nishtha Indien
zVg Nishtha Indien
 

Unser medizinisches Team arbeitet weiterhin für das Wohl der Armen und Alten in unserer Lokalität. Allerdings empfinde ich es als zusätzliche Herausforderung, mit der mir gegenüber sitzenden Person hinter der Gesichtsmaske zu kommunizieren. Gesichtsmasken erschweren es, das wirkliche Problem eines Patienten zu erfassen und die richtige Behandlung zu finden.

Viele, hauptsächlich junge Männer, leiden unter Panikattacken, Schlaflosigkeit und Depression. Das stellt eine große Herausfordeung für mich dar und am Ende eines Kliniktages ist bin ich traurig und völlig erschöpft.

Viele nepalesischen Arbeiter, die in einer Community oberhalb von Nishtha leben sind reguläre Patienten von Nishtha. Da ist Dr. Kusum eine große Hilfe, da diese Patienten Vertrauen in Dr. Kusum haben, weil sie mit ihnen von Herz zu Herz kommunizieren kann. Die meisten von ihnen sind nicht nach Nepal zurück gegangen, weil sie hier ausreichend etabliert sind und Lebensmittelkarten haben. Jedoch sind sie schon seit einiger Zeit arbeitslos, weil die Schieferminen geschlossen sind. Sie leben in ärmlichsten Verhältnissen am Berghang und haben keine Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können.

Wir verteilen selbstgenähte, sehr schöne Gesichtsmasken gemeinsam mit einer Seife an unsere Patienten. Unsere Aktivistinnen besuchen in den Dörfern alleinstehende Frauen, verteilen Masken und erläutern ausführlich das Händewaschen und social-distancing. Sie überprüfen, ob die staatlichen Gesundheitsausweise auf dem aktuellen Stand sind, und ob auch jeder weiß, wie man sie verwendet.

Unsere Leute bemühen sich sehr um ein freundliches Auftreten, wenn sie in dieser Zeit der Isolation und Angst in die Dörfer gehen. Wir haben ein kurzes Video auf Facebook gestellt, das unsere Arbeit in der Klinik vorstellt und wir sind dabei, ein ähnliches über die alleinstehenden Frauen in den Dörfern zu erstellen. Unsere Mitarbeiter haben diese Kurzvideos selbst gemacht, die uns einen Einblick in die Umgebung und das Leben der Menschen geben. Diese Videos kann man unter "news" auf der Nishtha Website finden.

zur Verfügung gestellt von Nishtha Indien
zVg Nishtha Indien
 

Wir haben begonnen Studenten für unser Sponsership Programm zu interviewen, obwohl es noch immer unklar ist, wann die College-Prüfungen und Einschreibungen stattfinden können. Die Ergebnisse der School Board Prüfungen sind noch nicht herausgekommen, so haben wir nur die Ergebnisse der 10. Klasse, auf die wir uns berufen können. Einige der Mädchen, die wir kennengelernt haben, verdienen sich ein bisschen Geld mit Privatstunden für Kinder, die nicht zur Schule gehen können.

Wir sind noch am Überlegen, ob wir Studenten, die bereits in einem College eingeschrieben sind, aber ohne finanzielle Hilfe nicht weiter studieren können, weil die Familie kein Einkommen hat, Unterstützung anbieten können. Viele Familien in unserer Umgebung haben ein kleines Stück Land und fast alle haben eine Lebensmittelkarte. Sie hungern also nicht, aber ohne Einkommen von ihren Taxis, einer Arbeit in einem Geschäft oder Unternehmen, haben sie kaum Bargeld zur Verfügung. Für zusätzliche Ausgaben wie z.B. Privatschulgebühren, können die Familien daher nicht mehr aufkommen. Zweifelsohne werden dieses Jahr mehr Kinder in staatliche als private Schulen eingeschrieben werden.

Um uns ein Bild zu machen, wie arme Familien auf dem Berg hinter uns zurechtkommen, von denen die meisten kein eigenes Land haben, sondern allein vom Tagelohn abhängig sind, führen wir eine Haus zu Haus Studie durch. Während einige wenige eine Arbeit finden, haben die meisten nun schon den dritten Monat überhaupt kein Einkommen. Einige Frauen aus den Dörfern oberhalb von Khanyara und Yol arbeiten als Haushaltshilfen in Häusern von Offizieren der Mittelklasse, konnten aber nicht an ihren Arbeitsplatz kommen, weil es keine Transportmöglichkeit gab.

Es gibt so viele Menschen, die so wenig haben. Als letzte Woche in dieser Gegend ein junger Mann verstarb, suchte Mohinder (Nishtha Projektleiter) die Familie auf und musste feststellen, dass sie weder Geld für die Verbrennung noch zur Bewirtung der Trauergäste hatte. Sie hatten buchstäblich kein Essen und keine anderen Ressourcen im Haus.

Die stoische Haltung der Menschen ist demütigend. Sie murren und beschweren sich nicht, sondern akzeptieren traurig die Situation, in der sie sich befinden. Es gibt aber auch jene, die an ihrem schwierigen Leben verzweifeln. Heute habe ich die traurige Geschichte einer nepalesischen Frau gehört, die alleinstehend mit 4 Kindern nicht mehr in der Lage war, mit ihrem Momostand etwas zu verdienen: sie nahm sich das Leben. Unsere Studie macht auch deutlich, dass es eine überraschende Anzahl von alleinstehenden Frauen und Menschen mit Behinderungen gibt, von denen wir vorher nichts wussten. Das zumindest ist ein positiver Aspekt, der aus dieser Krise hervorging.

Auch diese schwere Zeit wird vorbeigehen. Wir versuchen im Kleinen zu helfen und uns nicht entmutigen zu lassen.

Nach wie vor gibt es keinen nolmalen Flugverkehr nach Österreich. Schon allein die Reise nach Delhi ist nicht möglich da Delhi zur Zeit sehr schwer von COVID 19 betroffen ist.

So müssen wir leider, schweren Herzens unser 25 Jahre Jubiläum verschieben.

Wann ich wieder nach Europa kommen kann ist ungewiss. Ich hoffe sehr darauf, Weihnachten in Wien im Kreise meiner Familie verbringen zu können.

Ich hoffe es geht Ihnen allen gut und Sie sind gesund in Körper und Geist.

Mit freundlichen Grüßen und in Dankbarkeit für Ihre Hilfe
verbleibe ich im Namen von Nishtha

Ihre Dr. Barbara Nath-Wiser

Spenden

Spendenkonto: NISHTHA AUSTRIA, Gemeinsames Engagement für Entwicklungszusammenarbeit
Oberbank IBAN: AT24 1500 0045 9101 8215 BIC: OBKLAT2L

[zurück]